2018-06-03  Verdun → Reims

17ter TagAbfahrt08:53Distanz125,52kmHm ↑1132m
10te EtappeAnkunft16:25Insgesamt1218,03kmHm ↓1251m

Ich bin also tatsächlich in einem Stück nach Reims gefahren. Meine Wertschätzung für die Arbeit von Herrn Varois erhielt leider einen Dämpfer. Ebenso meine wohlwollende Einstellung gegenüber B&B-Hotels.

In der Früh war ich mir immer noch nicht sicher, ob ich wirklich die lange Strecke bis Reims fahren sollte. Am Vorabend hatte ich schon nach Alternativen recherchiert, aber ich war einfach schon zu müde. Also verlegte ich die Routenplanung auf den nächsten Morgen (wie schon einige Male zuvor). Aber auch frisch und ausgeschlafen wollte sich keine überzeugende Alternative finden lassen. Die Gebiete östlich und nördlich von Reims sind offensichtlich landwirtschaftlich geprägt - die kleinen Orte dort haben keine nennenswerte touristische Infrastruktur.

Den letzten Anstoß für die Entscheidung doch bis nach Reims zu fahren gab dann die Website von B&B Hotels. Dort wurde für das recht zentral gelegene Hotel hinterm Bahnhof von Reims ein Sonderangebot für die Nacht von Sonntag auf Montag offeriert. Damit war die Übernachtung fast so günstig, wie in Verdun.

Kurz vor 9:00 kam ich endlich los. Die dicke Mamsell vom Hotel Saint Paul ließ es sich nicht nehmen mir beim Packen vor dem Haus genau zuzuschauen und mich dann nochmal mit Handschlag zu verabschieden. Schon auf dem ersten Kilometer merkte ich, dass mit der Route auf dem Garmin nach der ich fahren wollte irgendwas nicht stimmen konnte. Schnell war mir klar, dass ich eine ältere Route ausgewählt hatte (nach der ich am Dienstag hätte fahren wollen). Allerdings musste ich auch feststellen, dass die neueste Route, die ich am Vorabend erstellt hatte auf dem Garmin fehlte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als anzuhalten, meine Packtaschen zu öffnen und mein Tablet und diverse Kabel und Adapter herauszukramen. Mit diesem Equipment konnte ich dann (auf den Stufen irgend eines Fliesenmarkts sitzend) die Route auf den Garmin hochladen. Weil ich dazu den Garmin ausschalten und in einen anderen Modus bringen musste hat die aufgezeichnete Strecke eine kleine Lücke.

Was mir auch noch sehr bald auffiel: Herr Varois vom Fahrradladen Naturet hatte nicht sorgfältig gearbeitet. Die Skala auf dem Drehschalter meiner Nabenschaltung stimmte nicht mit den tatsächlich eingelegten Gängen überein. Im ersten Gang stand der Drehknopf zwischen 2 und 3. Analog für die anderen Gänge. Darüber hinaus ließen sich die Gänge 13 und 14 nicht einlegen. Lästig, aber zum Glück nichts, was die Reise verhindert. Die beiden hohen Gänge brauche ich so gut wie nie. An die falsche Anzeige kann ich mich gewöhnen.

Direkt hinter Verdun ging es auch schon gleich richtig steil bergauf. Und dann wieder runter. Und dann nochmal kräftig bergauf. In Sichtweite lag die D603, die gut ausgebaut die selbe Strecke mit wesentlich weniger Steigungen bewältigte. Am Sonntag Morgen hätte ich ohne Probleme diese Hauptstraße fahren können. Zum Glück stieß ich nach ca. 12km wieder auf die D603. Die eigentliche Routenplanung ignorierend folgte ich dieser bis Parois. Dort bog ich auf die D946, die in einem weiten Bogen Richtung Norden schwenkte.

Ich fuhr jetzt mehr oder weniger dem kleinen Flüsschen l’Aire entlang. Der Vorteil: Keine heftigen Steigungen. Leider nur bis Varennes. Zwischen diesem hübschen Örtchen und Apremont hatten die Straßenbauer sich eine ‘schöne’ Steigung nicht verkneifen können. In Apremont bog ich links ab, verließ das Aire-Tal und machte mich auf, den letzten nennenswerten Höhenzug der Argonnen (einem südlichen Ausläufer der Ardennen) zu überwinden. Als ich endlich oben ankam, war ich einigermaßen bedient. Ich begegnete dort einer Frau, die sich als Streckenposten für einen Volkslauf betätigte. Im ersten Moment dachte ich, dass sie etwas von mir wollte, weshalb ich direkt vor ihr anhielt. Ich hatte mich aber getäuscht. Wir kamen aber trotzdem ins Gespräch (halb auf französisch, halb auf englisch). Dabei erfuhr ich, dass bei diesem Volkslauf sowohl Radfahrer, als auch Läufer und Walker mitmachen. Wie das wohl funktioniert?

Zum Schluss fragte ich noch, ob sie etwas Wasser hätte. Auf den drei großen Steigungen hatte ich schon kräftig geschwitzt und es zeichnete sich ab, dass es wieder ein sonniger und heißer Tag werden würde. Ich wollte verhindern, dass im weiteren Verlauf des Tages das Wasser wieder knapp wird. Sie hatte nur noch eine halbe Flasche Vittel, die sie mir aber ohne Umschweife in meine fast leere Wasserflasche schüttete. Good karma!

Ziemlich genau bei Kilometer 50 hatte ich die Argonnen hinter mir und der Charakter der Landschaft änderte sich. Gewellte Landschaft, große Felder, kleiner, öde Käffer. Nicht so anstrengend zu fahren, aber auch etwas langweilig. Man kann nicht alles haben.

Felder

In Manre gelang es mir wieder eine vor ihrem Haus stehende Frau nach etwas Wasser zu fragen. Kurz danach kam ich an diesem Feld vorbei, das voller Mohn war.

Feld voller Mohn

Ungefähr ab diesem Zeitpunkt begann ich auch nach einem geeigneten Rastplatz Ausschau zu halten. Aber große Felder und kleine, öde Käffer hatten diesbezüglich nichts zu bieten. Erst in Sommepy-Tahure fand sich vor der Mairie eine Bank im Schatten. Hier machte ich Brotzeit. Zwischendrin fragte mich eine Gruppe Rennradler in österreichischem Französisch, ob es hier eine Bar oder ein Café gäbe. Ich hab dann mit “Grüß Gott” geantwortet, was die Frage eigentlich schon beantwortet hat. (Beim Weiterfahren sah ich dann, dass die Herren nicht viel weiter in einer Brasserie untergekommen waren.)

Am Ende meiner Mittagspause fragte ich bei dem Kindergeburtstag auf dem Nachbargrundstück nach Wasser. Der sehr nette Herr, der meine Flaschen in Empfang nahm, ließ sich viel Zeit in seinem Haus. Als er endlich wieder kam, sagte er mir, er hätte extra kaltes Wasser eingefüllt. Und hier wären noch ein paar Kekse. Ich war ganz gerührt. Vielleicht ist Frankreich doch dieses radfahrerfreundliche Land, wie viele behaupten.

Die gefahrene Route führte mich übrigens (ganz unbeabsichtigt) weiter an der ehemaligen Frontlinie entlang. Erkennbar an den Denkmälern und Soldatenfriedhöfen, die immer wieder mal am Straßenrand zu finden oder ausgeschildert waren. So kam ich u.a. durch das Village detruit Nauroy. Man hatte auf dem Gelände dieses völlig zerstörten (und nicht mehr aufgebauten) Dorfes ein paar Hektar Wald gepflanzt. So blieb die typische aufgewühlte, von Kratern übersäate Bodenstruktur erhalten. In dem Wäldchen kreuzten sich ein paar Straßen. Vermutlich so wie sich vor dem Krieg die Straßen in dem Dorf gekreuzt hatten.

Etwas südlich davon lagen auch ein paar Anhöhen, die im ersten Weltkrieg aufs Heftigste umkämpft waren. Heute liegen sie in einem ausgedehnten Truppenübungsplatz für die Öffentlichkeit unzugänglich.

In Nogent-l’Abbesse stieß ich unvermittelt auf die Champagne, so wie man sie sich vorstellt. Am Ortseingang waren glaube ich ein knappes Dutzend Champagner-Kellereien ausgeschildert.

Champagne

Aber genauso schnell wechselte die Landschaft wieder auf Weizen, Mais und Raps. Komisch.

Der Plan sah vor, dass ich etwa die letzten 8km entlang des Marne-Aisne-Kanals fahren würde, der mich auf angenehme Weise in die Nähe der Innenstadt von Reims bringen würde. Leider wurde ich kurz vor Erreichen des Kanals durch eine Straßensperrung auf einen Umweg durch riesige, zum Teil noch unbebaute Gewerbegebiete gezwungen. Die waren wohl schon länger unbebaut, denn auf den Radwegen begann schon das Gras zu wachsen. Das war öde und nervig. Ich war so froh, als ich dann doch noch den Kanal erreicht hatte. Daran entlang ging es (wie erhofft) recht angenehm in die Innenstadt von Reims.

Marne-Aisne-Kanal

Beim Check-In im B&B-Hotel fragte ich gleich nach dem Platz, wo ich mein Fahrrad sicher abstellen könnte. Ich hatte schon für den ersten geplanten (aber dann stornierten) Aufenthalt in Reims bei der Hotline der B&B-Hotels nachgefragt, ob es auch möglich sei, ein Fahrrad sicher zu verstauen. Was man mir bestätigt hatte. Die Dame an der Rezeption meinte, da hinten am Ende des Ganges könnte ich mein Rad abstellen. Ich fragte zwei Mal nach, ob ich das auch richtig verstanden hätte. Das war noch nicht mal ein abgetrennter Raum, sondern wirklich nur das Ende des Ganges. Da standen schon eine Reihe von diesen Wägen, in die die Zimmerdamen gebrauchte Handtücher und Bettwäsche stopfen. Irgendwo dazwischen sollte ich noch mein Fahrrad stellen. Es war voll im Weg dort. In dem Bereich gab es auch noch mehrere Türen zu irgendwelchen Betriebsräumen. Ich schloss mein Fahrrad ab, aber jedem wäre es möglich gewesen, es einfach fortzutragen. Später (nach dem Abendessen) habe ich mein Fahrrad dann mit aufs Zimmer genommen. Und das, obwohl dort ohnehin schon drangvolle Enge herrschte. Aber ich hätte (glaube ich) sonst nicht ruhig schlafen können.

Nach Duschen und Wäschewaschen machte ich mich noch auf zu einem Stadtspaziergang. Ich konnte so auch den Mittelaltermarkt rund um die Kathedrale besuchen, der am Freitag (als ich mit Hartmut in Reims war) noch aufgebaut wurde. War gut besucht. hat mich aber nicht so beeindruckt. Viel Mittelalterramsch dort. Die Fußgängerzone war (zumindest in dem Bereich, im dem sich Bars und Restaurants konzentrieren) trotz Sonntag Abend sehr belebt.

Fußgängerzone

Der Spaziergang weckte übrigens bei mir keine Lust auf mehr (Reims), weshalb ich an diesem Abend beschloss, am nächsten Morgen gleich weiter zu fahren.